der arithmetische Gott

“Die ganzen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk.“ (Leopold Kronecker (1823 – 1891) in: Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 2 (1893), Seite 19)

 

Welcher Philosoph hat je behauptet, die Welt oder alles sei vernünftig?

Wäre die Welt als vernünftig gesetzt, darf man kurioserweise die Schutzbehauptung fallen lassen, sie sei die beste aller möglichen Welten.

Nur Leibniz hat gesagt, die Welt, sie sei die bestmögliche aller möglichen Welten.

“Und wie in der Mathematik, sobald es weder Maximum noch Minimum und überhaupt nichts Ausgezeichnetes gibt, alles gleichförmig wird, oder, wenn das nicht möglich ist, überhaupt nichts zustande kommt: so kann man in betreff der vollkommenen Weisheit, die nichts weniger geregelt ist als die Mathematik, sagen: wenn es unter den möglichen Welten keine beste (optimum) gäbe, dann hätte Gott überhaupt keine hervorgebracht. Ich nenne Welt die Gesamtfolge und den Gesamtumfang aller existierenden Dinge, damit man nicht sage, es könnten zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten mehrere Welten existieren. (…) es bleibt dabei, dass es eine Unendlichkeit von möglichen Welten gibt, aus der Gott notwendig die beste gewählt haben muss, denn er tut nichts, ohne dass er der höchsten Vernunft gemäß handelt.” (Leibniz, Die Hauptwerke, Seite 183, Theodizee, 3. Auflage August 1943, Alfred Kröner Verlag)

Die in Gott liegende Leibnizsche Vernunft, die Hegel nach ihm separieren, in das Absolut-Abstrakte herausstellen und entheben wird, findet sich noch in der diktierenden Absolutheit inkubiert, mit Hilfe nichts anderem als dem Glauben und dem Gedanken (Glaube und Darlegung mehr noch als Verstandestätigkeit) die Aussage zu treffen, etwas, in diesem Falle gleich Alles, sei das allerbest Mögliche, selbst wenn sich am Offensichtlichen das Denkbare bereits Besseres vorstellen kann und vieles unvernünftig verläuft. Zunächst schaut es so aus, als ob Gott induktiv begründet wird aus seinen, ihm gegebenen Eigenschaften und aus seinem Charakter der Übergröße, Fülle und Allmächtigkeit. Eins bedingt dabei das andere und läßt nichts Mittelmäßiges zu. So sind Gott und die Welt zunächst einmal totale Sklaven seiner Pompösität und Herrlichkeit, für die es nur den einen Grund geben muss, nämlich: dass überhaupt etwas existiert und dieser eine Gott. Seine Eigenschaften bestimmen das Dasein von allem und von Gott selber. Gott hat Eigenschaften, noch mehr haben seine Eigenschaften ihn. Aber hat Gott diese Eigenschaften? Übergröße und Allmächtigkeit lassen sich aus Leibniz Theodizee herauslesen. Für einen Gott sind diese Eigenschaften nicht so ungewöhnlich, desweiteren ist er Schöpfer der Welt.

Aus dieser von Leibniz grundsätzlich eingesetzten Dualität, Gott und das Etwas als Welt, folgt für ihn notwendig, dass das Etwas das allerbest mögliche sein muss, da aus seiner Sicht von Gottes Hand geschaffen und dieser seinen Genus überträgt. Ob Gott und Welt, seitdem es die Welt gibt, Verschiedenes / Unterschiedliches sind, hat Leibniz vorher entschieden: sie sind verschieden, unterschiedlich.

Daher, da verschieden, da unterschiedlich ist für Leibniz gleich schlussfolgernd die Welt aus ihm, aus dem Gotte als Schöpfung gekommen und im gleichen Zuge auch automatisch die beste.

Die Welt kann, so weiß Leibniz, nur von Gott geschaffen worden sein.

Gott ist dazu fähig und die Vorstellung ist dazu fähig, ihn dafür zu halten.

Vom abendländisch-christlichen Mainstream weicht die Leibnizsche Vorstellung nicht ab: Kausal denkbar ist immerhin bei zwei konstatiert Vorhandenen, dass nicht nur aus A ein Weiteres, Losgelöstes sich entstehen läßt, nämlich B. Wie entsteht aus A ein B?

Denkbar auch: B ist als erstes durchzuspielen, aus B folgt also A. Somit hätte die Welt Gott geschaffen und Gott gehörte in die Welt, zur Welt, wurde geboren aus der Welt und ist: wohin? Gott wäre ein Kind dieser Welt gewesen, ein zugehöriges, lebendiges Wesen, nicht fremd oder zumindest eine mächtige Idee geworden. Eine Mutter sucht ihr Kind. Mit der Zeit wäre Gott wie bei einer Geburt mit Schmerzen oder mit Freuden aus der Welt gefallen. Die Mutter Welt hätte den Bub Gott noch erzogen, dann geschah das Ungeheuerliche. Der Bund Gottes wäre der Bund der Vertriebenen geworden. Gott wäre endgültig (?) von der Welt und verbleibend sind die Erinnerungen. Wenn diese Welt der Menschen vergeht, vergeht Gott keineswegs unbedingt, denn wir wissen derzeit nicht, wohin er ist. Mit den Menschen verginge die den Menschen spezifische Erinnerung an Gott, ihre Religion, nicht mehr und nicht weniger.

Diese eigenartige Idee eines Gottes, der selber A zeitlos (also gänzlich anders), dann mit der Zeit B geschöpft hat, tragen wahrscheinlich die Menschen spezifisch, nicht zwingend als eingeborenen Gedanken, mit sich. Somit ist die Existenz Gottes, wenn sie denn eine Idee, eine Weltanschauung ist und sonst eher nichts oder unentschieden oder doch etwas, was wir mit uns tragen, aber noch gar nicht an uns kennen, evolutionär spät und den Menschen adhäsiv. Gott wäre in seiner Präsenz phänomenologisch durchaus vergleichbar dem Hund, ein Begleiter, geliebt, nützlich, eigentlich ungefährlich. Der Mensch muss für ihn auf regelmäßige Reinlichkeit und Fürsorge bedacht sein. Gott darf ihm keine dominierende Wahnvorstellung werden. Gott muss durch Rituale erzogen bleiben, damit er sich nicht vergisst und wieder wild wird. Der Hund ist auch keinem anderen größeren Lebewesen Begleiter, somit auch das passt in den Vergleich. Der Mensch muss bei beiden dominant bleiben.

Desweiteren denkbar: A und B stammen aus C. Eigentlich wäre A und B also gar nicht A und nicht B sondern C ist A und desweiteren B und C sind A und B. Zu klären wäre, ob dies phänomenologisch, also “objektiv & real” so wäre, oder ob durch die da verwickelte Zeit das Phänomenologische wie auch das rein Idelle oder hinter dem Wort der reine Gedanke oder das Wesentliche vor dem Urknall in welcher Sprache auch immer zu besprechen wäre, die möglicherweise extra dafür programmiert werden müsste. Längst wäre hiermit zu erforschen, was / wer denn nach der Theologie vom Tode Gottes avisiert wird auf der Reise nach Rückwärts.  Zu fragen wäre in aller Bescheidenheit vor der Türe die unmittelbare Umgebung, dem Gaia-Prinzip folgend, um zu erfahren, was Leben ist. Und zu klären wäre, warum eigentlich Gott gestorben sein sollte, denn wir wissen doch schon lange nichts mehr von ihm!

Obenstehend haben wir nur Ursache – Wirkungen betrachtet, die allein schon eine Menge Geschichten angestoßen haben.

Bekannt ist, dass mit diesem urtümlichen, sensorischen, ausgelatschten Modell nur ein kleiner Teil, nur eine bestimmte Ebene des je zu Erfassenden erreicht wird. Beschreibungen und Wahrscheinlichkeiten lassen sich mit anderen Modellen oftmals besser einfangen, oder es läßt sich überhaupt etwas bei den Beobachtungen mit anderen Modellen blicken, was uns neuerdings interessiert und mit der Ursache-Wirkung in komplexen Vorgängen eher nichts. Wahrscheinlich ist, zugegeben, auch die oben durchgeführte kausal determinierte Betrachtung gegenüber “religösem Wissen” nur äußerst vordergündig, aber, um die schlimmsten Irrtümer schnellstens zu verlassen, dennoch hygienisch, um solches, was wahr schien und es schon nicht mehr glaubhaft sein kann, ad acta zu legen. Unsere innere Welt des Wahrnehmens und Nachdenkens ist mit durch unsere Erziehung, durch die Sprechweise unserer Sprache auf die Anwendung von Ursache – Wirkung Beziehungen auch im Religiösen wie sonstwie alltäglich 100% eintrainiert, jederzeit läuft dieses Trainingsprogramm und verringert die Möglichkeit überhaupt irgendetwas zu begreifen auf den Zufall, der herbeigekitzelt werden muss.  Anderes will uns schwer gelingen und erscheint uns schnell als zu theoretisch als dass es relevant werden sollte. Die Praxis hat für die allermeisten mit alldem nämlich nichts zu tun und kitzelig muss sein, wer sich das Programm ein wenig abtrainieren will.

“Schrödinger kam zu dem Schluss, dass die verblüffendste, aber auch typischste Eigenart von Leben dessen Fähigkeit sei, bildlich gesehen, gegen den Fluss der Zeit stromaufwärts zu schwimmen. Leben steht in einem paradoxen Gegensatz zu dem zweiten Hauptsatz, der besagt, daß sich alles abwärts bewegt, hin zu Gleichgewicht und Tod, und daß das auch immer so gewesen ist und immer so sein wird. Doch Leben entwickelt sich zu immer größerer Komplexität. Es ist gekennzeichnet dadurch, dass das Unwahrscheinliche allgegenwärtig ist. (…) Noch bemerkenswerter ist, daß dieser instabile, offensichtlich ungesetzmäßige Lebenszustand auf der Erde im Vergleich zum Alter des Universums schon eine beträchtliche Zeit anhält. Leben übertritt dabei keineswegs den zweiten Hauptsatz; es hat sich in einem engen Verbundsystem mit der Erde entwickelt, um auf diese Weise das Überleben zu sichern. Es gleicht einem mit allen Wassern gewaschenen Buchhalter, der es nie versäumt, die vorgeschriebenen Steuern zu zahlen, der aber auch kein Schlupfloch ausläßt.”  (Das Gaia-Prinzip. Die Biographie unseres Planeten, James Lovelock, Seite 48)

“S= k (lnP)”  “Die Gleichung drückt klar aus: Je weniger wahrscheinlich etwas ist, um so niedriger ist seine Entropie.” (Die Formel und das Wissen stammt von Ludwig Boltzmann. Zitiert aus Das Gaia-Prinzip. Die Biographie unseres Planeten, James Lovelock, Seite 49)

Gibt es Gott, weil er die Zuspitzung des Unwahrscheinlichen ist und daher ewig? Oder ist Gott so wahrscheinlich, dass er gleich der Entropie verfällt und leblos wird?

Ist Gott lebendig?

Die Welt folgt aber aus Gott. Leibniz weiß das.

Gott ist nicht ohne Zweck.

Der Zweck von Gott ist die mit ihm begründete Welt. Das sagt Leibniz wiederum mit keinem Wort…

Gott ist die Ursache, unser Denken funktioniert mit Ursachen wie am Schnürchen.  Diese Welt schreit nach einer Ursache, sie sucht eine Ursache, so funktioniert das.

Gott ist die Ursache für alles, was wir nicht verstehen, Gott ist die Unbekannte als Funktion in einer nicht allein mathematischen, nicht nur vernünftig erlebten Welt. Und daher ist, weil Gott darum das Beste macht, die Welt die beste, egal wie wir diese Welt beurteilen und unabhängig von der Vernunft und was wir unter dieser verstehen wollen. Muss Gott als Einserkandidat das Beste machen?

Warum Gott, wenn dieser für alles mit steht, was wir nicht verstehen und für die intelligenteren von uns um so mehr für das steht, was wir nicht verstehen, von Leibniz genauestens gekannt und zwingend beschrieben werden kann in seinen sehr göttlichen Zwängen, die sich gerade durch seine Herrlichkeit ergeben sollen, bleibt unverständlich, da die Herrlichkeit sicherlich eher in dem zu finden wäre, was wir eben nicht verstehen und uns nicht zugänglich wäre und ergo also um so weniger in dem, was wir und Leibniz so sehr meinen zu verstehen, dass wir zumindest in der Vorstellung einen Gott schaffen und erhalten könnten, der in seiner Geschichte “logisch” schlüssig wäre und uns in das Beste aller Möglichkeiten eingepflanzt hat. Dies als eine dreißtdumme, ungöttliche Geschichte aus einer Serie von für wahr gehaltener, alltäglicher Denkmechanik zu verstehen, war Leibniz nicht gegeben, für ihn war dieses bereits eine für seine Provenienz angemessen huldigende Sicht direkt auf seinen Gott, ein denkendes Beten und nicht einfach eine krumme Geschichte aus einfachem Handwerk.

Gott ist, wenn wir “Gott” denken, nicht der Halt (in der Zeit) sondern der Beginn. In der Welt ist Gott nicht verfolgbar.

Wenn Gott und Welt von einander unterschieden sind und wenigstens eben dieses Verhältnis als ihre gemeinsame Historie schon mit Anbeginn der Welt haben – bevor der Mensch als einer der beobachtenden Dritten hinzutritt (Bruno Latour, ebenso auch der Joker von C. G. Jung, die Synchronizität, der Zufall sind hier einen verplauderten Nachmittag wert), so wäre, wenn die Bibel hier doch als unser Mythos für einen Augenblick Recht hat, bevor wir Wissen und Methode vom Mythos reinigen (Serres), der sogenannte perspektivische Dritte als angemessene weise Position von Bruno Latour doch nur aberwitzig spät auftauchend und unendlich klein angesichts der Geschehnisse, denn es käme in keinem Falle bis zum Bau der Atombombe auf den Betrachter, den Menschen an. Somit müsste sich niemand als Mensch davor in der Rolle des numinosen Dritten sehen, um sich angemessen zu verstehen, denn dies wäre eine weitere, übertriebene Grossmannssucht des Menschen; der Dritte wäre der Anwalt der Ganzheit, für die er gar kein Mandat gewinnen kann, denn die Atombombe gibt ihm dafür kein Mandat. Und auch die Atombombe hat auf das All und die Schöpfung wenig Auswirkung. Hinter dem Dritten verbigt sich die in den Dritten verschobenen und klein projizierte Ganzheit: “Das aufgegebene, verleugnete Göttliche taucht wieder auf in Form eines energetischen, überströmenden, fruchtbaren Ganzen, das nicht auf die kalte Kausaltität der klassischen Wissenschaften reduzierbar ist. Alles ist in der Natur, diese jedoch eine von Göttlichkeit durchdrungene Übernatur. Die Gottheit wird freilich nicht als solche gedacht, denn sonst würde der Monismus aufgegeben, der für diese Form der Globalität wesentlich ist.” (Bruno Latour, Das Parlament der Dinge Seite 80) Bruno Latour wäre dann also durch die von ihm auf Teufel komm raus gemiedene Metaphysik als  a priori zu klärende Determinierungsebene und die von ihm nicht geklärte Semantik dieser Determinierungsebene als ihn daher unbekannte aber bestimmende  Dritte getrieben und kommt so wieder in eine Mystik, was keineswegs schlimm ist, um den Akteur und seine Subjekt-Objekt-Verhältnisse einzuhegen. In die Mystik kann man nur stolpern. Wie kann es denn auch überhaupt auf den Menschen ankommen außer für diesen selber? Im Kern des Dritten  steckt bei Bruno Latour eine vorschnell eingeräumte Denkfigur, nehmen wir die Schöpfungsgeschichte, Hell und Dunkel werden geschieden, die Welt wird pragmatisch und ganz objektiv in eine Faktizität geschaffen usw.: für nichts und niemanden und nirgends (um ein paar Orientierungspunkte zu nennen) wird dabei ein unbekannter Dritter oder dessen Perspektive benötigt. Diese Perspektive hat auch als Hypostasierung keine echte Perspektive in soziologischen Dingen (Niklas Luhmann geht da geschickter vor).

Die Geschichte ist in der Bibel noch klar, sie heißt: Gott schafft die Welt. Die Menschen stecken erst viel später in der Welt und bald auch in der Tinte. Soweit die Bibel. Ganz Unrecht hat sie da nicht. Ähnlich, da ohne Gott, dann in der Zeitspanne noch viel länger ohne den Menschen, die Evolutionsgeschichte. Bis der Mensch kommt, ist schon eine für den hier in Frage kommenden, den Menschen, unendlich lange Geschichte geschrieben, egal ob der Mensch sie überhaupt aufzeichnet oder erst in diesem viel späteren geschichtlichen Augenblick anfängt aufzuschreiben, weil zu erforschen. Darin, in dieser ewig langen Zeitspanne ohne den Menschen, lassen wir  Heidegger sagen, ist das Sein der Objektivität zunächst einmal begründet. Die Begründung geht weit über den ursächlichen Zusammenhang hinaus, es hat für den Menschen fast eidetischen Charakter, die Kraft des Faktischen, es ist fast ein unumstößlicher Aspekt  a priori (s. hierzu u.a. Edward O. Wilson und Stephen Jay Gould, Zufall Mensch, “Stereotypie oder, anders gesagt, das Hineinpressen der meisten Arten in einige wenige anatomische Pläne, ist ein Hauptcharakterzug des neuzeitlichen Lebens – und macht den größten Unterschied zur Welt der Burgess-Zeit aus. (…) Zunächst nimmt die Verschiedenartigkeit deutlich ab, und dann kommt es unter den wenigen überlebenden Entwürfen zu einer auffälligen Vermehrung der Vielfalt.” (Seite 48)  “Das Grundprinzip des Arthropoden-Bauplanes ist die Metamerie, der Aufbau des Körpers aus einer Reihe von sich wiederholdenen Segmenten”. (Seite 111, Stephen Jay Gould, Zufall Mensch)

Objektivität hat von Beginn an eine Geschichte, die weit und lang über den Menschen hinaus geht. Das steht uns an, zur Kenntnis zu nehmen, egal wie wir zu diesem Wissen gekommen sind. Es kommt nicht auf das Wissen als Information an oder die Begründung durch eine Kausaltität, nicht auf die Kommunikation des Wissens und das Gesellschaftliche daraus, sondern zunächst einmal um das Faktum brutum: Z.B.: Vor dem Menschen war ganz viel (aber nicht unbedingt sehr viel grundsätzlich verschiedenes). Diese Haltung macht die Erkenntnis der Wissenschaft verständlich. “Objektivität ist nicht das Eigentum der Positivisten.” (Bruno Latour, Soziologie für eine neue Gesellschaft, Seite 252)

Könnte nicht auch ein Gott existieren, der diese Welt nicht geschaffen hat? Ist nicht auch ein Gott denkbar ohne eine gemeinsame Historie? Ein eher geschichtsloser Gott oder ein Gott mit einer anderen Geschichte, die uns nicht so ohne weiteres zugänglich wird? Warum kein Gott, der ein Verhältnis hat zu uns Unbekannten anstelle zu uns? Das Unbekannte kann dann das Unbekannte bleiben und muss uns nicht einmal interessieren. Wir könnten den Gott dann einfach mit der Zeit vergessen. Warum müssen wir über Gott besser Bescheid wissen als über unsere Ehefrau?

Warum nicht einen Gott, der diese Geschichte, diese Historie gar nicht will, dem diese menschlichen Absonderlichkeiten anstößig sind? Warum nicht anstelle von einem lebenden Gott und der Welt noch einen zweiten Gott annehmen, der im Schöpfungsakt durch das Eintreten der Zeit gleich gestorben ist? Somit verbliebe ein einsamer Gott, dem wir aber nicht helfen können, wir schauen hilflos zu, wenn er wie wir Menschen Sehnsucht hat und nun in der Zeit, Lichtjahre um Lichtjahre seine bessere Hälfte sucht. Oder gar keinen Gott annehmen, denn wäre ein zweiter nicht in der Summe wiederum eine Null, weil von uns, nach so vielen Jahren entschwundenem Mittelalter nur der eine, der nachwievor absolutistische Gott von den abendländischen Menschen wie der Weihnachtsmann gewollt wird. Ein zweiter Gott, als von zweien übriggebliebener, heillos suchender, sehnsüchtiger Gott, ein trauernder Gott, wäre für uns Menschen keine Alternative. Dabei liegt diese Anschauung und die theoretische Annahme eines solchen Gottes sehr nahe: Gott gestorben direkt bei der Geburt der Welt, ein weiblicher Gott hingeschieden, Richard Lowell Rubenstein, die Kabbala und der Feminismus kämen zu ihrem gottverdammten Recht. Und die Männer ebenso: Denn der lebendige wäre wie heute der männliche Gott. Der Witwe sucht seine verstorbene Frau. Und vielleicht hat er doch schon eine Affaire.

Jedenfalls für uns wäre ein geschichtsloser, keine Welt je schaffender Gott mit einem Verhältnis zu Unbekannten, eben nicht zu uns und zu dieser Welt, schlichtweg bedeutend logischer: Immerhin existiert diese Welt doch irgendwie unserer Erfahrung nach und unserer Wissenschaft nach mit Selbstverständlichkeit, soweit wir überhaupt etwas wissen und nicht vielmehr nichts. Warum durfte diese Frage nach Gott und seine Verhältnissen  bisher nicht unentschieden bleiben? Leibniz hat sie leider entschieden wie viele andere vor ihm das getan haben. Er hat Gott mit der Weltschöpfung geschichtlich als Akteur eingeordnet und ausgerechnet damit zeitlich werden lassen. Es reichen Leibniz zwei Entitäten: Das Ding, die Welt muss auf Gott den Schöpfer “schauen” im antiken Sinne, Gott wäre das A priori. Und wieder geschähe es: Gottes Untergang, die Welt wird zu Gottes Medusa, die ihn Stück um Stück und als Ganzes paradox verschlingt (gern auch in ewiger Wiederkehr).

Die Geschichte wäre im Sinne Hegels womöglich nicht nur Teilhabe an Gott sondern sein erfolgreicher, für ihn tödlicher Widersacher. Die Zeit wäre damit die Übernatur, die alles Verschlingende.

Hier steckt der nächste Logikfehler in dieser Vorstellung von einem Welt schöpfenden Gott: denn Gott sollte doch die Zeit geschaffen haben und nicht aus der Zeit der Gott kommen. In der Zeit kann sich kein Gott halten.

Gemäß der allgemeinen abendländischen Vorstellung von Gott muss die Zeit bereits direkt, nach dem sie geschaffen wurde, unmittelbar über Gott triumphiert haben. Sie dominiert die Welt und anhand der Schöpfungsgeschichte durch diese evolvierende Geschichte als historischen Akt ihn, den vermeintlichen Verursacher der Welt. Gott ist durch den Akt zeitlich geworden, zeitlich markiert, markiert an seiner Achillesferse. Direkt danach hat die Zeit übernommen. Auch das All hat einen Knall, einen Urknall, und wurde durch diesen zeitlich bis heute messbar markiert. Dass die Schöpfung unendlich fortgesetzt wird, ist nur eine Beschönigung und ein Zurechtbiegen dessen, was längst logisch zu spät kommt und das Geschehnis der Zeitdominanz nicht mehr heilen kann. Selbst Totes, Lichtjahre entfernt, sehen wir noch klar vor Augen. Die Zeit selber evolviert, die Geschichte läuft, der Film kann nicht wieder zurück in die Kiste, er läuft ab, er hat schon Zeit genommen. Mächtiger als Gott ist die Zeit, die seine Schöpfung forttreibt. Gott wurde die Zeit genommen gleich bei Beginn der Schöpfung. Damit waren seine Tage gezählt und er blieb ein umherirrender, heimatloser Geist, der seinem zwecklosen Tod entgegen sieht, denn für ihn ist der Film gerissen: “Der Film ist gerissen, ich werde nie mehr einen Einstieg finden, und während ich hier die Totenwache halte, sickert endlos das Schweigen aus einem schwarzen Cadillac. (…) Nie mehr werde ich zurückfinden in den Film von 1920…(…) der letzte Stummfilm wabert in den Ansichtskartenhimmel… sein Hemd materialisiert sich wie in Entwicklerflüssigkeit und flattert am Ende der ausgestorbenen Straßen… sein trauriges Kindergesicht, traurig wie verwelkte Blumen… >Denk daran, ich war leer…. nur noch ein Loch in der Luft… sie hatten mich längst abgeschrieben…< So wartete er vergebens, in seinen Augen spiegelte sich eine verschollene Welt. Schweigen senkt sich über die Wassertümpel auf den Trümmergrundstücken von 1920. Die letzte Markise flappt träge auf dem Pier. Du stehst hier und bist der letzte Überlebende.” (W.S. Burroughs, Die alten Filme, Seite 107)

Gott sieht in seiner Unsterblichkeit seinen eigenen Tod kommen. Das Leid Gottes zeitlich geworden und damit zum Verschwinden verurteilt zu sein, führt zu der jüdischen Häresie: der Christusvorstellung.

Man möchte aber gern die zeitliche Einordnung Gottes plus einen Schöpfungsakt haben, dieser geht ja nur mit zeitlicher Ordnung einher, und gleichzeitig möchte man den allmächtigen Gott behalten. Diese Unmöglichkeit von beidem gleichzeitig ist der Grund warum Heidegger keinen zweiten Band von “Sein und Zeit” geschrieben hat: Sein und Gott verschwinden mit der Zeit. Und leider ist das kein Mysterium sondern die beinharte Realität.