Vorhersage von dauerhaft unsicheren Zeiten, Niall Ferguson

5. März 2022
Geschichte , heute aktuell , Kommentare , Zeitgeschehen , Zitat
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Niall Ferguson ist ein Historiker und damit nicht unbedingt ein lupenreiner Zivilisationsforscher und Futurologe. Er hat sich den Beruf der wahnsinnig Abgeklärten damit ausgesucht. Sein Geschäftsfeld besteht in der Betrachtung des Erledigten, Abgelebten. Wenn er über die Zukunft spricht, ist es immer ein bisschen so, wie wenn ein Chirurg über die nächsten Schuljahre eines jungen Patienten spricht, der zufällig bei ihm gerade in Behandlung ist wegen einer Verletzung am Fuß… Da kann was dran sein an seinen Prognosen zu den Schulnoten, muss aber nicht. V.a. wirkt der Duktus eher deplatziert, weil übergriffig.

Deshalb hat er auch kaum einen Blick für das Neue, nicht in die Seelen der Verteidiger. Nicht für das Unwahrscheinliche. Nicht einmal für die Dynamik der Geschichte. Er hält die Geschichte in der Wiederholung als das Wahrscheinlichste. In der Regel bin ich nicht seiner Auffassung. Hier wieder nicht.

Ich mag es offener, halte das in dem Akt der Prognose der Zukunft, die auch immer ein Gruß an diese selbst ist, für gerechter, auch wenn ich Gefahr laufe, damit naiver zu erscheinen. Rückkoppelungen, Netzwerkeffekte, Effekte neuer Technologien wie die Graswurzel-Panzerabwehrwaffen als Schulterfeuerwaffen mit großem Knall- und Bumm-Effekt kommen in seinen Prognosen nicht genügend in die Waagschale. Ich prognostiziere eine krachende Niederlage Putins im konventionellen Bodenkrieg, insbesondere im Häuserkrieg und Straßenkampf und dort, wo ukrainischer Boden hergegeben wurde, die Rückeroberung durch Ukrainer und Internationale Truppen.

Alles andere wäre fatal. Der Westen muss spätestens jetzt in der Ukraine ein eindeutiges Kriegsziel formulieren und dieses genügend verfolgen: Die Niederlage von Putin, die Vernichtung der Eisenarmee der Russen.

Hier nun Auszüge aus seinem aktuellen Interview:

“Die USA haben der Ukraine nicht ausreichend Waffen geliefert, um einer solchen Invasion auf Dauer standzuhalten. (…)

Putin hätte seinen Krieg ohne die Zustimmung des chinesischen Staatschefs Xi niemals führen können. Peking war vorab informiert und hat die Invasion abgenickt. Es ist kein Zufall, dass der Einmarsch erst nach Ende der Olympischen Winterspiele in Peking begann. China wird Russland auch helfen, die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen zu mildern, indem es seine Energie kauft und moderne Technologie liefert.

Die chinesische Führung spricht mit gespaltener Zunge: Einmal gibt sie dem Westen die Schuld für den Krieg in der Ukraine, am nächsten Tag unterstützt sie die territoriale Integrität des osteuropäischen Landes. Das ist alles Blödsinn. Was zählt, sind Taten. Und Xi pflegt seit Jahren engste Beziehungen zu Putin.

Sollte Putin den Krieg in der Ukraine gewinnen, wird Peking daraus den Schluss ziehen, dass der Westen auch für Taiwan nicht kämpfen würde. Und China ist gegenüber Wirtschaftssanktionen in einer besseren Position als Russland: Die Kosten für den Westen wären ungleich höher. 

Solange den Panzern nicht das Benzin und den Soldaten nicht das Essen und die Munition ausgehen, entscheiden Sanktionen nicht darüber, wer auf dem Schlachtfeld gewinnt. Es war deshalb ein kolossaler Fehler des Westens, zu glauben, Putin ließe sich mit Sanktionsdrohungen abschrecken. (…)

Jetzt droht Putin mit seinen Atomwaffen, und wir haben keine Antwort darauf. Ich glaube nicht, dass Containment ohne eine nukleare Abschreckung funktioniert. (…)

Die USA werden Verhandlungen mit Putin ablehnen, die Sanktionen werden bleiben, und die Welt wird in einem permanenten Zustand des Unfriedens leben müssen. Historisch ist das gar nicht ungewöhnlich. Bereits nach den beiden Weltkriegen gab es ähnliche Perioden des Unfriedens.”

Niall Ferguson im Gespräch mit Torsten Riecke, Handelsblatt, 05.03.2022 – 12:05 Uhr

https://www.handelsblatt.com/politik/international/interview-historiker-niall-ferguson-im-neuen-kalten-krieg-spielt-china-die-hauptrolle/28127310.html

 

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