In der WELT heute morgen gelesen, ein Artikel von Leander Scholz.
Ich zitiere:
… Solange der ökologische Umbau mit der Dominanz einer besonderen Lebenswelt verbunden ist, wird auch der Widerstand dagegen wachsen. Jede weitere Maßnahme wird dann abgelehnt, unabhängig davon, ob sie sinnvoll ist oder nicht, allein weil sie als Sieg dieser Lebenswelt über andere Vorstellungen von einem gelungenem Leben wahrgenommen wird. (…)
Er (der Widerstand) speist sich aus dem zunehmenden Gefühl einer Entwertung eigener Werte und Ideale, die nicht den vorgelebten Lebensstilen der ökologisch Gesinnten entsprechen.
Dieses Dilemma hat eine lange Vorgeschichte. Sie reicht zurück bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts. Die ersten Umweltaktivisten kamen nicht aus der Landbevölkerung, sondern waren Städter aus dem gehobenen Bürgertum, die ihre Wochenenden gerne im Grünen verbrachten. Ihr Kampf galt der Flurbereinigung, der viele alte Baumbestände, urtümliche Moore und artenreiche Wiesengründe bereits zum Opfer gefallen waren. Wie die gesamte Gesellschaft wurde im Jahrhundert des Fortschritts auch die Landwirtschaft modernisiert. So entstanden die großen Anbauflächen, die wir auch heute noch kennen. Ansonsten wäre es kaum möglich gewesen, die rasant wachsende Bevölkerung zu ernähren. (…)
Alles sollte so bleiben, wie es vermeintlich immer schon war. Im Gegensatz zu den Erfahrungen der Bauern war die Natur für die Städter eine idyllische Angelegenheit. Die frühen Naturschützer waren unmittelbare Nachfahren der Romantiker. Zu den sozialen Bewegungen ihrer Zeit hatten sie so gut wie keine Beziehungen.
Einen ersten Höhepunkt erlebte die Umweltbewegung zwischen den beiden Weltkriegen. Aus den beschaulichen Träumen von einem sorgenfreien Landleben war die Sehnsucht nach einer radikal anderen Welt geworden. Angesicht der apokalyptischen Aussichten auf die Zukunft des Abendlands wurde der natürliche Lebensraum zur Projektionsfläche für einen ökologischen Antikapitalismus. Dieser versammelte sehr unterschiedliche Positionen, darunter liberale, konservative, anarchistische, aber zunehmend auch rechte und völkische. In der ersten Umweltbewegung tummelten sich Lebensreformer, Wandervögel, Anhänger des Vitalismus und eines wiedererwachenden Neuheidentums.
Viele Motive aus dieser Zeit prägen auch heute noch die ökologische Szene. Allen gemeinsam war eine Zivilisationskritik, die der Anonymität der Großstädte ein Leben mit und in der Natur entgegenhielt. Als Maßstab für eine neue soziale Ordnung sollte die derart verehrte Natur das Elend der Industriegesellschaft kurieren. So entstanden die ersten ökologischen Kommunen, Aussteiger und Selbstversorger, die sich anders ernährten, anders kleideten und als Avantgarde eines neuen Lebensideals begriffen.
Die Muster, die den Grünen heute bei ihren politischen Entscheidungen zur Verfügung stehen, haben sich überwiegend bereits in dieser Phase ausgebildet. Hervorgebracht wurden sie durch eine frühe Wachstumskritik, die in der Regel konservativ ausgerichtet war und eine neue Bescheidenheit propagierte. Aus deren Sicht gab es von allem zu viel. Es wurden zu viele Menschen geboren, zu viele Nutztiere gehalten, zu viele Nutzpflanzen ausgesät und auch zu viele Dinge produziert. Aber vor allem gab es einen neuen Sündenfall, nämlich die moderne Hybris, die Welt nach menschlichen Maßstäben einrichten zu wollen.
Das ist der Ursprung des schlechten Gewissens, dem sich der neue Glaube an die heilende Kraft der Natur zu verdanken hat, der bis heute den esoterischen Untergrund der Umweltbewegung bestimmt. Auch wenn die ökologische Politik seitdem vielen Rationalisierungen unterzogen wurde, ist ihr emotionaler Kern immer an diese kulturhistorische Konstellation gebunden geblieben. Die ökologische Askese ist daher nicht nur eine pragmatische Antwort auf die moderne Naturzerstörung und ihre Folgeprobleme, sie muss auch als ein religiöser Akt verstanden werden, um Buße zu tun. (…)
Aber die Leistung, wirkungsvoll auf Probleme aufmerksam gemacht zu haben, befähigt nicht unbedingt dazu, sie auch zu lösen.
Das tiefgreifende Dilemma der Grünen besteht darin, dass sie eine Gesellschaft von Grund auf verändern wollen, die sich nicht über Moral regulieren lässt, und schon gar nicht eine Weltbevölkerung von 8 Milliarden Menschen, deren Lebensziele sehr unterschiedlich sind. Das alternative Sozialmodell der Umweltbewegung bestand stets in überschaubaren Gruppen. (…)
Aufgrund ihrer Herkunft aus der Umweltbewegung haben die Grünen kaum politische Muster entwickelt, die der Funktionslogik einer modernen und hochkomplexen Gesellschaft entsprechen. Ihre Angewiesenheit auf die Umweltaktivisten wird sie auch in Zukunft daran hindern. Sehr häufig setzt ihre ökologische Politik daher an der individuellen Lebensführung an, obwohl gerade das es unmöglich macht, eine Politik für alle zu betreiben. (…)
Eine marktwirtschaftliche Lösung, etwa über den CO2-Preis, hätte bei den wirtschaftlichen Dynamiken angesetzt, die sowieso für einen andauernden Umbau der Gesellschaft sorgen. (…)
Aber dass es gerade zu dieser Lösung kam, hängt eng mit der läuternden Vorstellung individueller Einsicht und Umkehr zusammen, die zur Not eben per Verordnung erreicht werden muss. Dabei kann der globale Beitrag, den Deutschland zur Klimapolitik leisten kann, nur in einer ökologischen Modernisierung bestehen, die das Land industriepolitisch voranbringt und auf die seine Bürger stolz sein können. Einem moralischen Weltmeister, dem weder die eigene Bevölkerung folgt noch der Rest der Welt, wird dieser Beitrag nicht gelingen.
(Zitat Ende)
Es sperrt sich etwas in mir, “die Romantik” zu holzschnitzartig zu sehen und damit Gefahr zu laufen, sie zu deklassieren. Im Obigen wird ein Aspekt der Romantik erfasst, aber nicht die Romantik.
Wir sollten im obigen Zusammenhang vielleicht von Idyllikern sprechen und nicht einmal das.
Das Schönheitsempfinden nämlich sollte unter der Modernisierung nicht leiden, was tatsächlich permanent geschieht.
Das Ästhetische als Dimension wird in der Postmoderne, bzw. im heutigen Nutzbau von allem und jedem, in der Technik oft regelrecht massengemordet, systematisch hingeschlachtet und abgetötet im Nerv. Die Renovierung der Städte gerät wie in den 50. Jahren zum Desaster, was spezielle Delirien hervorruft, die mit einem Naturalismus nichts zu tun haben. Es ist die Zerstörung des Ästhetischen, die Vertreibung und Ausrottung des Ästhetischen, was weh tut und sicher verrückt macht.
Das ästhetisch Erreichte einer Allianz Arena kommt bspw. über ein Bonbon oder einen Luftballon nicht hinweg. Das Erreichte ist nur mehr in der Größe, nicht einmal im Geschmack.
“Idylliker” wäre für die Wahrnehmung dessen, was der Stadtflüchtige wieder oder erstmals wahrnimmt, eine klar ausgedrückte Abwertung.
Das ganzheitliche, genauer ausgedrückt, das synchronisierende Prinzip, was aufgrund der nicht zu leugnenden Naturverbundenheit des Menschen die Anschauung der Natur hervorruft und nicht so sehr die blinkende Ampel mit Zebrastreifen, hat durchaus seine Berechtigung. Sonst würden nicht so viele Steuerberater Yoga machen.
Eher würde ich, anstelle von Idyllikern zu sprechen, doch das Wort “Stadtflüchtige” wählen.
Flüchtige kennzeichnet mehrheitlich, eigentlich nicht dort anzukommen, wohin sie gelangt sind. Ein klassisch, faustisches Motiv, das Uneigentliche im Eigentlichen. Zurückgeblieben im Ankommen. Und das ist gerade ein weiterer Aspekt der Modernisierung, des kosmischen Unterwegsseins.
Es fehlt der Weg zurück; solange wir sterblich sind, betreiben wir keine Kreislaufwirtschaft im Sinne Nietzsches. Es ist zum Verrückt werden. Wir haben das Schicksal der Verdammten, wie die Bibel sagt, vertrieben aus dem Paradies und: sind doch Zurückgebliebene. Auch die Moderne, gerade die Postmoderne ist hochreligiös. Das ist oben im Artikel von Leander Scholz ausgeblendet, was kein Mangel sein muss. Die AI wird uns lehren, wie sehr wir zurückgeblieben sind.
Das Faustische hat eine Tendenz zu totalisieren.
Der Modernismus ist faustisch, die Alchemie ist faustisch, das Spiel mit der Natur.
Das Totalisieren ist nicht nur deutsch. Flüchtige bleiben zu einem guten Teil verloren. Lost person. Erkennbar als “lost person”, markiert, ohne dass sie das unbedingt wissen oder ahnen. Sie geraten daher, aus diesem blinden “Fleck”, der zugleich der Punkt des schärfsten Sehens sein sollte, in eine spezielle Dogmatik, deren Elemente sie ursprünglich impulsiv abgelehnt haben.
So können dann bspw. Muslime, die vor dem Islamismus geflüchtet sind, plötzlich sehr wohl IS-Fahnen schwingen. So können dann aufs Land flüchtige Städter, plötzlich feststellen, wie sehr sie das Landleben und die Leut dort ablehnen, geradezu hassen.
Oft reicht dann danach der regelmäßige Saunabesuch nach dem Gym.